Verfassungs- und Europarecht

Für den Steuerpflichtigen besonders ärgerlich ist es, wenn das Steuergesetz, auf dessen Grundlage der Fiskus die Steuer erhoben hat, nach Bestandskraft des Steuerbescheides wegen Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz (Verfassungswidrigkeit) oder mit gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften (Europarechtswidrigkeit) aufgehoben wird.

Mehrfach bereits hatte der BGH zu der Frage Stellung zu nehmen, ab wann der Steuerberater, der mit der Prüfung eines Steuerbescheides beauftragt  ist, mit seinem Mandanten die Möglichkeit eines Einspruchs wegen möglicher Verfassungs- oder Europarechtswidrigkeit des vom Fiskus herangezogenen Steuergesetzes erörtern muss.

In diesem Zusammenhang hat der BGH folgende Grundsätze aufgestellt:
 
Ein Steuerberater darf grundsätzlich auf die Verfassungsmäßigkeit des von der Steuerverwaltung angewendeten Steuergesetzes vertrauen. Die Steuerverwaltung hat Gesetze trotz bestehender Zweifel an deren Verfassungsmäßigkeit anzuwenden. Gleiches gilt für die mit dem Steuerfall befassten Gerichte. Erst wenn ein Gericht von der Verfassungswidrigkeit einer entscheidungserheblichen Norm überzeugt ist, hat es das Verfahren auszusetzen und Entscheidung des BVerfG einzuholen; bloße verfassungsrechtliche Zweifel berechtigen noch nicht zur Vorlage an das BVerfG.

Vor diesem Hintergrund, so der  BGH, kann sich für den Steuerberater nur ausnahmsweise die Pflicht ergeben, auf eine mögliche Verfassungs- bzw. Europarechtswidrigkeit eines bislang als verfassungsgemäß behandelten Steuergesetzes hinzuweisen. Der Steuerberater, der mit der Prüfung eines Steuerbescheids beauftragt ist, muss mit seinem Mandanten die Möglichkeit eines Einspruchs wegen möglicher Verfassungswidrigkeit des anzuwendenden Steuergesetzes nicht erörtern, so lange keine entsprechende Vorlage eines Gerichts an das Bundesverfassungsgericht bzw. an den Europäischen Gerichtshof veröffentlicht ist oder sich ein gleich starker Hinweis auf die Verfassungs- oder Europarechtswidrigkeit der Besteuerung aus anderen Umständen, insbesondere einer in ähnlichem Zusammenhang ergangenen, veröffentlichten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder des Europäischen Gerichtshofs ergibt. In diesem Zusammenhang braucht der Steuerberater nicht jede Veröffentlichung kennen, sondern nur solche, die in den amtlichen Entscheidungssammlungen und in den einschlägigen allgemeinen Fachzeitschriften veröffentlich sind (BGH Urteil vom 23.09.2010, Az.: IX ZR 26/09).